Der Nordfriedhof leuchtet heute, an Allerheiligen. Die Kapelle, einzelne Bäume, ausgesuchte Grabmäler sind beleuchtet, viele Kerzen säumen die Wege und es ist wirklich hübsch. Statt es genießen zu können, die Atmosphäre als besinnlich wahrnehmen zu können, "kämpfe" ich stattdessen mit einem mir bekannten Phänomen: Ich fühle mich genervt und gestresst vom Lärm der naheliegenden Bundesstraße.
Seit Irland mir die Erfahrung geschenkt hat, wie wohltuend sich Stille anfühlt, wie frei und leicht ich mich fühle darin, wie tief mein Atem wird und wie meine Seele darin wohlig aufseufzt, fühle ich mich in der Stadt häufig wie auf der Flucht: Straßenlärm, Binnenschiffe, Flugzeuge, Straßenbahnen, Laubbläser... die Liste ist endlos. Manchmal kann ich förmlich spüren, wie mich der Lärm ganz eng macht. Wie ich mich müde und abgespannt fühle darin und ich das Gefühl habe, keinen Raum zum Atmen zu haben.
Als ich da so über den Friedhof gehe, frage ich mich, ob es nicht möglich sein kann, möglich sein muss, die Stille mehr und mehr auch dann zu finden, wenn es um mich herum laut ist. Stille, das ist mehr als die Abwesenheit von Lärm. Sie ist ja nicht weg, nur weil der Lärm da ist - sie liegt dahinter, darunter, irgendwo darin. Ich gehe also bewusst langsamer. Spüre den Boden unter meinen Füßen, beobachte meinen Atem, spüre den leichten Nieselregen auf meiner Haut, versuche, mich mehr auf das Rauschen des Windes in den Blättern zu konzentrieren als auf den Straßenlärm. Und ja, ein Hauch von Stille ist da, etwas das mich einhüllt, sich gut anfühlt. Es ist also möglich, irgendwie. Vermutlich.
Denn gleichzeitig ist da trotzdem diese Anspannung in mir, dieses Gefühl von Getriebensein und vor allem: dieser Widerstand. Ich will ihn weg haben, diesen Lärm. "Es wäre alles so viel schöner, wenn man die Straße hier nicht so hören würde. Es ist wirklich furchtbar, dass man hier in der Stadt nirgendwo wirklich Ruhe findet. Wie ich darunter leide!" Endlos geht diese Geschichte, die ich mir selbst erzähle. Wieviel stärker könnte ich die Stille spüren, die dahinter, darunter, irgendwo darin dennoch da ist, wenn ich aufhören könnte, diesen Widerstand zu nähren? Könnte ich dann auch hier, inmitten vom Lärm, mehr von ihrer gewaltigen Präsenz wahrnehmen? Ich glaube nicht, dass mir Lärm jemals egal sein wird, denn die Sensitivität kann ich vielleicht nie ganz ablegen. Aber wenn ich mehr und mehr aufhöre, diesen Widerstand aufzubauen, wenn ich disziplinierter darin werde, mir diese endlose Geschichte nicht dauernd zu erzählen, dann könnte ich vielleicht trotzdem etwas mehr Ruhe darin finden. Denn die Stille ist ja da, dahinter, darunter, irgendwo darin - und vor allem auch in mir selbst. Wenn ich atme. Wenn ich spüre. Und wenn die Stimmen im Kopf mal leiser werden.
Das üben wir ja auch im Yoga. Im geschützten ruhigen Rahmen eines Yogastudios oder auf der Matte daheim fällt es mir nicht so schwer, innerlich still zu werden. Diese Erkenntnis auch ins tägliche Leben zu tragen, ist allerdings noch immer eine Herausforderung.
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